Das Stichwort des Tages ist „Prosumer“: Im Netz ist heute
jeder Konsument und Produzent gleichzeitig – oder versucht zumindest es zu
sein. Jeder ist kreativer Selbstunternehmer und versucht mit Hilfe dieser
Tätigkeit Geld zu verdienen. Ich meine damit gar nicht so offensichtliche Einnahmequellen
wie ebay oder Amazon Marktplace, sondern Buchrezensionen, Stilratgeber,
Schmink- oder Ernährungstipps auf Basis von Textbeiträgen, Videos, Fotos in
Form von Blogs, Youtube-Videos, Flickr- oder Instagram-Posts. Das alles sind
kreative Handlungen und die größte Kreativität wird im Internet mit den meisten
Aufrufen, der größten Aufmerksamkeit und am Ende mit dem größten Gewinn belohnt. Zum Beispiel über Werbung,
die auf der jeweils eigenen Seite geschaltet wird. Amazon, um nur ein Beispiel
zu nennen, zahlt seinen Partnern bis zu 10 Prozent Provision, wenn ein Produkt
über einen sogenannten "Partnerlink", der auf einer jeweiligen eigenen Seite geschaltet ist,
verkauft wird.
Das alles sind kreative Prozesse, somit sind all diese Leute
Kreative und haben sich mit Hilfe ihrer Kreativität ein zweites Standbein im
Netz aufgebaut – manche daraus sogar ihren Haupterwerb gemacht. Was bedeutet
diese allgemeine Kreativität aber für den Künstler? Was bedeutet es, dass jeder
in Zeiten der Digitalisierung durch die eigene Kreativität heute leicht an Geld
kommen kann und Kunstwerke nur noch eine einzelne Ausformung davon sind? Hat diese
Entwicklung den Bedeutungsverlust von Kunst zu Folge? Oder allgemeiner: Was
bedeutet die Digitalisierung für den Künstler?
Bekanntlich konnte „Künstler-Sein“ bereits vor Anbruch des
digitalen Zeitalters nicht eindeutig definiert werden. Nur einen
unbestreitbaren Punkt gab es und gibt es: Künstler-Sein hat etwas mit
Kreativität zu tun. Nur wie kann der Künstler sich nun von allen anderen Co-Kreativen
im Netz abheben, wenn die ganzen Heerscharen von Prosumern auch kreativ sind?
Und zwar nicht etwa wie Plattenfirma-Kreative, Verleger-Kreative oder
Design-Kreative, oder andere, die es sonst noch so gibt, für die man die Bezeichnung „Kreative“ extra als
Abgrenzung zu "Künstler" erfunden hat- Sondern Kreative, die und deren
Tätigkeiten im Netz man zusammen fassen könnte unter der Bezeichnung „Gesamtkunstwerk“,
da seit der Erfindung von Social Media an eine Trennung zwischen Werk und Leben – sowohl von Künstlern, als auch von Kreativen – nicht mehr zu denken ist, Social Media
für totale Durchlässigkeit und Offenlegung steht und als Nachweis für deren
Kreativität dient, dass sie sich im Internet etwas aufgebaut haben und sich mit
Kreativ-Sein etwas dazuverdienen, während sie im echten Leben einen Vollzeitjob
ausüben, eine eigene Familie haben
und sich irgendwo sonst noch engagieren. Vielbeschäftigte
sind, wie die Künstler also. Macht nicht sogar die Zeit, in der wir leben, und
die Anforderung die diese Zeit an uns stellt, bedingt durch Digitalisierung,
Globalisierung und eine allgemeine Beschleunigung aller Bereiche unseres Lebens, alle
irgendwie zu Künstlern? Selbstverständlich ausgehend von einem zeitgenössischen
Bild des Künstlers, nicht einem romantischen, also des professionalisierten
Künstlers. Weil jeder Selbstvermarktung betreibt und jeder viele verschiedene
Tätigkeiten gleichzeitig ausübt, bis er von einer allein, die vielleicht seine
große Leidenschaft ist, leben kann.
Nicht über Kunstwerke jedenfalls findet der Künstler seine
Alleinstellung auch in der digitalen Welt, denn die Preise für sogenannte
„Kunst“ liegen nun mal in Dimensionen, die sie für den Verkauf übers Internet
ungeeignet machen. Deshalb gehören zur Kaufabwicklung von Kunst ja auch
reale Cocktailpartys, Zucker ums Maul schmieren mit direktem Augenkontakt und über lange Jahre gehegte, persönliche
Beziehung, die irgendwann zur genauen Kenntnis über den persönlichen Kunstgeschmack
eines Kunden führen. Selbstangefertigte Dinge im Niedrigpreissegment – egal mit wie viel Herzblut sie angefertigt wurden – von denen es im Netz einen ganzen Berg
gibt und die sich online wirklich verkaufen lassen, gelten hingegen nicht als Kunst, sondern
höchstens als Kunsthandwerk – oder herabschätzend als „Bastelei“, was mir allerdings
näher liegt.
Zwar gibt es für Kunstwerke, wie auch schon für „Künstler“, keine
mir bekannte, gültige Definition, doch zählen Preise, Marktwert, Reputation, Vertretung durch eine Galerie, und Beheimatet Sein in der Szene, die eine völlig
andere „virtual reality“ als das Internet darstellt, auf jeden Fall zu den
entschiedensten Faktoren.
Überhaupt hat alles Geldverdienen im Netz mit der eigenen
Kreativität und Liebe eben diesen antikünstlerischen Kunsthandwerks-
oder Garagenfirma-Charme. Kunst bedeutet aber niemals Garagenfirma. Deshalb
vertragen sich die Kunst und das Internet auch so schlecht. Deshalb gibt es
keine Kunst im Netz, sondern ausschließlich auf der Leinwand, sowohl der Kinoleinwand,
als auch der für Malerei. Ausschließlich in Galerien, Museen, Ausstellungen, im
Theater und in der Literatur. Brutstätten für Selbstunternehmergeist, wie dem
Internet – auch wenn die Kunst seit es das Internet gibt massiv an Zauberkraft eingebüßt hat und das Internet ihr den obersten Platz im Ranking der Felder, in denen du als Mensch alles erreichen kannst, was du willst, wenn du es nur willst, streitig gemacht hat –, fehlt ganz einfach der Glamour, fehlt die Exklusivität (noch werden
alle mit zu offenen Armen reingelassen), fehlt das Erhabene, das auf irgendeine
Weise Undurchschaubare und Zufällige, die zu den Wesensmerkmalen von Kunst
gehören.
Auch wenn Kunst machen im echten Leben bedeutet, sich genau den
selben Selbstunternehmermechanismen wie die Prosumer im Netz zu bedienen, kann
die Aufgabe von Kunst im Netz nur lauten, den Geist von Glamour, Erhabenheit und
Unerklärbarkeit in die Digitale Welt zu holen – und das funktioniert eben nicht
über selbstgemachte Buchbesprechungen, Stilratgeber oder Filmkritiken, und
deren kreative Aufbereitung. Sondern meiner Meinung nach nur, indem Kunst, wie ich es schon lange fordere, als
Lifestyle angesehen wird, indem es bei Kunst endlich ausschließlich darauf
ankommt, was hinter der Kunst steckt, und nicht auf das Kunstwerk selbst. Indem es bei Kunst endlich ausschließlich darauf ankommt, wie
es zu diesem Kunstwerk gekommen ist, die Produktionsweiße, die Weltanschauung
des Künstler dahinter, seine Selbstüberzeugung, wie er sich jeden Tag
überwindet, etwas eigentlich Unsinniges zu machen, womit er, das, was er macht,
legitimiert, die Gedanke, die hinter seinem Schaffen stecken, seine Art zu
Leben, die sich auch alle, die nicht Künstler sind, als ultimative Art zu leben, zu
eigen machen können. Ratgeberkunst, die zwar mit
vielen anderen Lifestyle-Ratgebern im Netz gemein hat, dass es um
Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung geht, die sich von anderen
Lifestyle-Ratgebern im Netz aber insofern unterscheidet, als dass alles
rein gar nichts mit Garagenfirma- und Do-it-yourself-Denken zu tuen hat, sondern
am ehesten mit Religion: Denn Kunst handelt von Sinnsuche, Getrieben sein, nicht
anders Können, Bewältigung, Kompensation, Exzess und Glaube. Kunst im Internet
bedeutet also, zu vermitteln, welche Wünsche und welches Begehren hinter wirklich
allem Kreativen stecken, den kleinen Handlungen im Internet oder den großen. Kreativität als
unikale Eigenschaft des Menschen und Kunst als Schlüssel.