Montag, 3. April 2017

KUNST und die Digitalisierung

Das Stichwort des Tages ist „Prosumer“: Im Netz ist heute jeder Konsument und Produzent gleichzeitig – oder versucht zumindest es zu sein. Jeder ist kreativer Selbstunternehmer und versucht mit Hilfe dieser Tätigkeit Geld zu verdienen. Ich meine damit gar nicht so offensichtliche Einnahmequellen wie ebay oder Amazon Marktplace, sondern Buchrezensionen, Stilratgeber, Schmink- oder Ernährungstipps auf Basis von Textbeiträgen, Videos, Fotos in Form von Blogs, Youtube-Videos, Flickr- oder Instagram-Posts. Das alles sind kreative Handlungen und die größte Kreativität wird im Internet mit den meisten Aufrufen, der größten Aufmerksamkeit und am Ende mit dem größten Gewinn belohnt. Zum Beispiel über Werbung, die auf der jeweils eigenen Seite geschaltet wird. Amazon, um nur ein Beispiel zu nennen, zahlt seinen Partnern bis zu 10 Prozent Provision, wenn ein Produkt über einen sogenannten "Partnerlink", der auf einer jeweiligen eigenen Seite geschaltet ist, verkauft wird.
Das alles sind kreative Prozesse, somit sind all diese Leute Kreative und haben sich mit Hilfe ihrer Kreativität ein zweites Standbein im Netz aufgebaut – manche daraus sogar ihren Haupterwerb gemacht. Was bedeutet diese allgemeine Kreativität aber für den Künstler? Was bedeutet es, dass jeder in Zeiten der Digitalisierung durch die eigene Kreativität heute leicht an Geld kommen kann und Kunstwerke nur noch eine einzelne Ausformung davon sind? Hat diese Entwicklung den Bedeutungsverlust von Kunst zu Folge? Oder allgemeiner: Was bedeutet die Digitalisierung für den Künstler?
Bekanntlich konnte „Künstler-Sein“ bereits vor Anbruch des digitalen Zeitalters nicht eindeutig definiert werden. Nur einen unbestreitbaren Punkt gab es und gibt es: Künstler-Sein hat etwas mit Kreativität zu tun. Nur wie kann der Künstler sich nun von allen anderen Co-Kreativen im Netz abheben, wenn die ganzen Heerscharen von Prosumern auch kreativ sind? Und zwar nicht etwa wie Plattenfirma-Kreative, Verleger-Kreative oder Design-Kreative, oder andere, die es sonst noch so gibt, für die man die Bezeichnung „Kreative“ extra als Abgrenzung zu "Künstler" erfunden hat- Sondern Kreative, die und deren Tätigkeiten im Netz man zusammen fassen könnte unter der Bezeichnung „Gesamtkunstwerk“, da seit der Erfindung von Social Media an eine Trennung zwischen Werk und Leben – sowohl von Künstlern, als auch von Kreativen – nicht mehr zu denken ist, Social Media für totale Durchlässigkeit und Offenlegung steht und als Nachweis für deren Kreativität dient, dass sie sich im Internet etwas aufgebaut haben und sich mit Kreativ-Sein etwas dazuverdienen, während sie im echten Leben einen Vollzeitjob ausüben, eine eigene Familie haben
und sich irgendwo sonst noch engagieren. Vielbeschäftigte sind, wie die Künstler also. Macht nicht sogar die Zeit, in der wir leben, und die Anforderung die diese Zeit an uns stellt, bedingt durch Digitalisierung, Globalisierung und eine allgemeine Beschleunigung aller Bereiche unseres Lebens, alle irgendwie zu Künstlern? Selbstverständlich ausgehend von einem zeitgenössischen Bild des Künstlers, nicht einem romantischen, also des professionalisierten Künstlers. Weil jeder Selbstvermarktung betreibt und jeder viele verschiedene Tätigkeiten gleichzeitig ausübt, bis er von einer allein, die vielleicht seine große Leidenschaft ist, leben kann.
Nicht über Kunstwerke jedenfalls findet der Künstler seine Alleinstellung auch in der digitalen Welt, denn die Preise für sogenannte „Kunst“ liegen nun mal in Dimensionen, die sie für den Verkauf übers Internet ungeeignet machen. Deshalb gehören zur Kaufabwicklung von Kunst ja auch reale Cocktailpartys, Zucker ums Maul schmieren mit direktem Augenkontakt und über lange Jahre gehegte, persönliche Beziehung, die irgendwann zur genauen Kenntnis über den persönlichen Kunstgeschmack eines Kunden führen. Selbstangefertigte Dinge im Niedrigpreissegment – egal mit wie viel Herzblut sie angefertigt wurden – von denen es im Netz einen ganzen Berg gibt und die sich online wirklich verkaufen lassen,  gelten hingegen nicht als Kunst, sondern höchstens als Kunsthandwerk – oder herabschätzend als „Bastelei“, was mir allerdings näher liegt. 
Zwar gibt es für Kunstwerke, wie auch schon für „Künstler“, keine mir bekannte, gültige Definition, doch zählen Preise, Marktwert, Reputation, Vertretung durch eine Galerie, und Beheimatet Sein in der Szene, die eine völlig andere „virtual reality“ als das Internet darstellt, auf jeden Fall zu den entschiedensten Faktoren.
Überhaupt hat alles Geldverdienen im Netz mit der eigenen Kreativität und Liebe eben diesen antikünstlerischen Kunsthandwerks- oder Garagenfirma-Charme. Kunst bedeutet aber niemals Garagenfirma. Deshalb vertragen sich die Kunst und das Internet auch so schlecht. Deshalb gibt es keine Kunst im Netz, sondern ausschließlich auf der Leinwand, sowohl der Kinoleinwand, als auch der für Malerei. Ausschließlich in Galerien, Museen, Ausstellungen, im Theater und in der Literatur. Brutstätten für Selbstunternehmergeist, wie dem Internet – auch wenn die Kunst seit es das Internet gibt massiv an Zauberkraft eingebüßt hat und das Internet ihr den obersten Platz im Ranking der Felder, in denen du als Mensch alles erreichen kannst, was du willst, wenn du es nur willst, streitig gemacht hat –, fehlt ganz einfach der Glamour, fehlt die Exklusivität (noch werden alle mit zu offenen Armen reingelassen), fehlt das Erhabene, das auf irgendeine Weise Undurchschaubare und Zufällige, die zu den Wesensmerkmalen von Kunst gehören. 
Auch wenn Kunst machen im echten Leben bedeutet, sich genau den selben Selbstunternehmermechanismen wie die Prosumer im Netz zu bedienen, kann die Aufgabe von Kunst im Netz nur lauten, den Geist von Glamour, Erhabenheit und Unerklärbarkeit in die Digitale Welt zu holen – und das funktioniert eben nicht über selbstgemachte Buchbesprechungen, Stilratgeber oder Filmkritiken, und deren kreative Aufbereitung. Sondern meiner Meinung nach nur, indem Kunst, wie ich es schon lange fordere, als Lifestyle angesehen wird, indem es bei Kunst endlich ausschließlich darauf ankommt, was hinter der Kunst steckt, und nicht auf das Kunstwerk selbst. Indem es bei Kunst endlich ausschließlich darauf ankommt, wie es zu diesem Kunstwerk gekommen ist, die Produktionsweiße, die Weltanschauung des Künstler dahinter, seine Selbstüberzeugung, wie er sich jeden Tag überwindet, etwas eigentlich Unsinniges zu machen, womit er, das, was er macht, legitimiert, die Gedanke, die hinter seinem Schaffen stecken, seine Art zu Leben, die sich auch alle, die nicht Künstler sind, als ultimative Art zu leben, zu eigen machen können. Ratgeberkunst, die zwar mit vielen anderen Lifestyle-Ratgebern im Netz gemein hat, dass es um Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung geht, die sich von anderen Lifestyle-Ratgebern im Netz aber insofern unterscheidet, als dass alles rein gar nichts mit Garagenfirma- und Do-it-yourself-Denken zu tuen hat, sondern am ehesten mit Religion: Denn Kunst handelt von Sinnsuche, Getrieben sein, nicht anders Können, Bewältigung, Kompensation, Exzess und Glaube. Kunst im Internet bedeutet also, zu vermitteln, welche Wünsche und welches Begehren hinter wirklich allem Kreativen stecken, den kleinen Handlungen im Internet oder den großen. Kreativität als unikale Eigenschaft des Menschen und Kunst als Schlüssel.